Von Dartmouth auf die Biskaya

Dartmouth ist ein malerischer Ort an der südwestlichen Küste Englands. Der Fluss Dart mündet dort in den englischen Kanal. Auf beiden Seiten des Flusses wurden Häuser in die Hänge gebaut. Der Fluss selbst wird von Seglern und Fischern intensiv genutzt. Als wir in den Dart River einfahren bietet sich uns ein großartiges Bild. Boote so weit man schauen kann und Häuser, die wie in einem Amphitheater auf das ganze Schauspiel niederschauen. Dazwischen die Wassertaxis, Fähren und – wie es sich für die Engländer gehört – die Ruderboote, die für die nächste große Regatta trainieren. Als kleinen Bonus kommt in regelmäßigen Abständen ein historischer Dampfzug vorbei, für den in Dartmouth Endstation ist und den Ort mit der Welt verbindet. Die Bahnlinie wurde gleich neben dem Fluss errichtet, sodass man den Dampf und die Steinkohle der Dampflock riechen kann. Die Strömung ist so stark, dass wir gefühlt in einem Winkel von 45 Grad in den Fluss einfahren, um schließlich doch eine gerade Kurslinie zwischen der Betonnung hinzubekommen. Auch hier müssen wir uns anmelden. Ich telefoniere vor unserer Ankunft lieber, als mich per Funk für alle hörbar mit dem Hafenmeister zu unterhalten. Leider bekomme ich von der Marina eine Absage. Die Marina ist ausgebucht. Ich soll doch bei den anderen Anbietern per Funk nachfragen, irgendwo findet sich ein Plätzchen. Die anderen Anbieter teilen sich den Funkkanal 11. Ich rufe den Rivermaster an, der Bojen und Liegeplätze anbietet, die keinen Landzugang haben. Er lotst uns an einen Pantoon, wo wir mal schauen sollen, ob noch etwas Platz für uns ist. Vor lauter Booten, Bojen und Pantoons wird mir ganz anders, wir finden aber dann den beschriebenen Anleger und halten darauf zu. Er ist voll. Ich sehe eine englische Crew in einem der Boote und frage einfach kurzentschlossen, ob wir uns ins Päckchen legen können. Ein paar Minuten später geht unser Motor aus und ich sitze im Nachbarboot mit einem gekühlten englischen Bier in der Hand. Die Engländer sind ebenfalls auf Langfahrt und wollen im November ebenfalls auf den Kanaren sein, so erfahren wir. Ich nutze die Begegnung wieder, um mein Englisch aufzubessern und freue mich über die Freundlichkeit, die uns hier wieder entgegengebracht wird. Luise und die englische Seglerin vom Nachbarboot pumpen gemeinsam unser Dinghy auf, dass wir nun die nächsten Tage benötigen, um an Land zu kommen.  Luise hat die Aufgabe des Dinghyfahrers in Anspruch genommen, wir üben schon einmal bis das Benzin im Außenborder alle ist und paddeln lachend zurück zu GOOD FELLOW um zu tanken und schnell noch eine Testrunde zu drehen.  

 

Wir verbringen die nächsten Tage damit uns die Ortschaft und die alten Festungsanlagen anzuschauen. Wir laufen die steilen Straßen und Wege hinauf, die immer wieder den Blick auf den Fluss, die Flussmündung oder das Meer in einer neuen Perspektive freigeben. Wir entdecken immer neue Details und bewundern die englische Architektur der Häuser und der Mauern am Wegesrand. Derweil wartet unser Beiboot am Dinghydock gemeinsam mit unzähligen anderen Schlauchbooten auf uns.  

An einem Abend beschließen wir in ein Restaurant zu gehen. Von der englischen Küche hört man bekanntlich nur Gutes. Juliane bestellt sich in einem Fish & Chips Restaurant einen Chicken-Pie mit Mushrooms. Sie freut sich auf ihr Hühnchen und staunt nicht schlecht, als ein kleiner Kuchen vor ihr auf dem Teller steht. Ich hatte Juliane vorher versichert, dass sie keinen Kuchen bekommt, sondern dass das Gericht nur so heißt. Da habe ich mich wohl geirrt. Nun stellt sich Juliane die Frage, wo wohl das Hühnchen versteckt ist? Und noch wichtiger, in welcher Konsistenz sie es im Kuchen vorfinden wird.  Das Messer gleitet in das Gebäck und gibt seinen Inhalt preis. Hühnchen ist im ersten Moment gar nicht zu erkennen, dafür aber eine graue Soße mit undefinierbaren Stückchen darin. Der Geschmackstest überzeugt Juliane leider auch nicht, und so wandert der Teller zu Luise. Juliane begnügt sich mit dem Räuberteller. Ich teile meinen kleinen XXL Burger, Pommes wandern auch rüber. Luise scheint der Pie zu schmecken, jedenfalls beschwert sie sich nicht. Übereinstimmend stellen wir nach dem Restaurantbesuch fest, dass die Erzählungen über die englische Küche nicht untertrieben sind. Das nächste Essen kocht Claudia wieder.

Wer übrigens ein tolles Hühnchengericht, essen möchte, empfehle ich den Landgasthof Baumersroda. Mit dem Kennwort „Markos Empfehlung“ bekommt man dann eine extra große Portion hausgemachtes Würzfleisch auf den Teller. Bitte aber vorher einen Tisch bestellen, die drehen sonst durch, wenn so viele kommen.

Ich bin mit Marko und den Kids unterwegs zu einer geheimen Badebucht. Diese haben die Mädels bereits bei der Anreise entdeckt und wollten unbedingt da hin. Erst seit wir hier in Dartmouth sind, nutzen wir unser Dinghy. Letztes Jahr ging es zu viert noch gut. Nun ist es irgendwie kleiner geworden. Naja, es geht noch und wir kommen klar. Jedenfalls waren wir am Vormittag bereits zu viert schon mal damit unterwegs und hatten mit den Minimotor ganz schön zu tun, überhaupt gegen den Strom vorwärts zu kommen. Juliane und ich saßen vorne, Marko und Luise stritten sich um das Steuer, wobei Marko eine Freude daran hatte, eher so zu fahren, dass Jule und ich immer mal einen ordentlichen Schwapp Wasser abbekamen. Jetzt auf dem Weg zur geheimen Badebucht haben wir uns anders aufgeteilt. Luise hat sich mit ihrem SUP einfach hinterher ziehen lassen. Wir waren dadurch zwar nicht schneller, aber es sah cool aus. Angekommen, musste ich leider schon auf den ersten Blick feststellen, dass ich niemals trockenen Fußes zum Strand gelangen werde. Die Badebucht war übersäht von kleinen und großen Steinen und diese wiederum mit langhaarigem Moos und lockigen Algen. Es sah wunderschön aus, nur gestaltete sich der Weg zum Strand dadurch sehr schwierig. Wir sahen die Mutigen, die wie im Zirkus auf einem Seil balancierten und sich einen Weg zum Wasser oder zum Strand bahnten. War toll anzuschauen. Marko steuerte das Dinghy zu einem größeren Stein und machte es – naja, fest ging ja nicht, aber er verkeilte es irgendwie. Nun musste ich aussteigen. Wer mich kennt weiß, dass mir das Wasser ganz schön zu schaffen macht und eben nicht mein Element ist. Ich hielt mein Kleid mit einer Hand hoch und watete millimeterweise mit den Füßen nach Steinen tastend vorwärts. Es war flauschig (nicht mein Kleid, sondern die Steine unter mir). Nach einem Meter, den ich gefühlt in zwei Minuten zurückgelegt habe, lies ich mein Kleid dann doch los und ich krabbelte auf allen vieren vorwärts. Die Mädels hinter mir fanden das witzig. Luise war mit ihrem SUP trockenen Fußes unterwegs und Jule wartete das Schauspiel erst einmal ab. Marko war schon am Strand und trieb mich mit einem Schmunzeln im Gesicht weiter an. Wie soll das nur schneller gehen … Stein an Stein in grün und braun, glitschig und flauschig. Er hatte dann wohl Erbarmen und lotste mich an eine Stelle, die tatsächlich ein Miniweg war. Na toll. Es gab also einen Weg zwischen den ganzen bewachsenen Gesteinssbrocken. Er sah so süß aus, wie er mich angrinste, dass ich unmöglich böse auf ihn sein konnte, sich auf meine Kosten amüsiert zu haben. Nun saß ich am Strand, neben mir ein Felsen, auf dem mein Kleid vor sich hin trocknete. Die Felsen waren übersäht von coolen kegelförmigen Muscheln. Wenn man sie anfäßt, saugen sie sich sofort fester an den Stein. Luise und ich hatten richtig Spaß dabei, noch lockere Muscheln zu finden um sie zu berühren. Ich musste einige Zeit im Internet suchen, um die Sorte herauszufinden. Es war die Gemeine Napfschnecke – Partella vulgata. Beim Spaziergang fanden wir einige verlassene leere Schalen für unsere Schatzkiste, die uns Frank vor unserer Abreise als Geschenk überreicht hat. Der Weg zurück zum Dingi war einfach, hatte ich doch jetzt einen Weg.

Nach ein paar wunderbaren Tagen verlassen wir die englische Küste und wollen den Ärmelkanal zum zweiten Mal queren. Ziel ist Brest in Frankreich. Der Hafen ist ein beliebter Ort, um sich auf den Absprung über die Biskaya vorzubereiten und das wollen wir auch so machen. Das Wetterfenster um loszufahren ist klein. Die Winde in den kommenden Tagen lassen eine Querung nicht mehr zu. Draußen, auf dem Atlantik hat sich wieder einmal ein Tiefdruckgebiet ausgetobt und wird Wellen in den Kanal schicken. Zunächst kommen wir gut voran, der Wind kommt noch aus Nord und schiebt uns gut an, dann lässt er nach und die Maschine wird gestartet. Ich lege mich in die Koje, um etwas vorzuschlafen. Mit Wind und Motorkraft geht es bis zur Mitte des Kanals weiter, während Claudia die Wache übernimmt. Nach 70 der geplanten 150 Seemeilen, dreht der Wind und frischt auf. Die Segel werden gesetzt und los geht die wilde Fahrt. Eine Stunde macht es richtig Spaß, mit GOOD FELLOW durch die Wellen zu segeln. Ich ruhe mich dann doch noch mal aus und werde kurze Zeit später wieder von Luise und Claudia an Deck geholt. Die Wellen haben zugenommen und sind steiler geworden. Was vor ein paar Minuten noch harmlos erschien, wird nun langsam etwas bedrohlicher. Ich übernehme die Wache und beobachte die Situation. Ist es bereits die vorhergesagte Atlantikwelle? Und wenn ja, warum ist sie so steil? Ein Blick in die Unterlagen verrät, die Tide hat gekippt und so haben wir wieder eine Strom-gegen-Welle Situation, bei der die Wellen von der Strömung gestaucht und zu steilen Bergen aufgetürmt werden. Sie laufen von achtern schräg unter uns durch, bewegen Crew und Schiff in alle Richtungen. Wir kämpfen mit der Seekrankheit. Sogar an Deck wird mir von den unvorhersehbaren Bewegungen des Schiffes etwas schlecht.  

Claudia erlebt das so:

Der Tag verläuft super. Wir vier sitzen an Deck und haben uns ein neues Spiel ausgedacht: „Ich koche was, was du nicht kochst…“ Die Stimmung ist super. Motor an, Motor aus, Vorsegel raus, Großsegel raus, Marko trimmt, zieht und dreht an allen Seilen, die Windfahne läuft, wir haben 7kn Wind. Auch Delphine schwimmen wieder einige Zeit mit uns mit. Am frühen Abend nimmt Marko eine Reisetablette und geht schlafen. Wir haben eine Sorte gefunden, die nicht müde macht, das will er probieren (?). Dann nimmt der Wind plötzlich auf 20kn zu. Marko kommt an Deck – Großsegel runter, Vorsegel halbieren, Windfahne aus, Autopilot an. Ich verkrieche mich in die Koje. Es ist grausam. Die Wellen schlagen von allen Seiten auf die GOOD FELLOW ein, diese kann sich gar nicht entscheiden, auf welche Seite sie zuerst schaukeln soll – und wir mittendrin. Dann war bei mir Schluss. Ich kauerte mich in eine Ecke meiner Kombüse (Küche). Keine Ahnung, wie ich da hinkam. Jedenfalls war ich nun nicht weit weg vom Waschbecken. Ich konzentrierte mich auf das Ein- und Ausatmen, mehr ging nicht. Es war dunkel, ich war grün oder weiß im Gesicht, oder gelb, aber nicht mehr rosig. Marko schmiss mir von oben eine Decke zu. Ich kuschelte mich sofort hinein. Mein Po tat weh. Es schaukelt, Pobacke links, Pobacke rechts. Ich rollte mich zusammen. Es war kalt, hart und unbequem. Sobald ich mich bewegte, war mir übel. Unmöglich die zwei Schritte in die Koje zu kommen. Aber gut möglich, das Waschbecken in nur 2 Armlängen zu erreichen. So verharrte ich regungslos. Marko rief ab und zu nach unten und erkundigte sich nach meinem Befinden. Selbst zu antworten fiel mir schwer. Nach einer Stunde hatte ich einen platten Po, zitterte am ganzen Körper und war steif eingefroren. Auf allen vieren krabbelte ich nun doch in die Koje und dachte tatsächlich kurz an die grünen flauschigen Steine. Ich versuchte mich langsam zu strecken, um in die Seesternposition zu kommen, damit ich nicht wegrolle. Schlafen ging nicht, aber überleben hat geklappt.

 

Wir fahren mit gerefften Segeln in die Nacht. Es ist stockdunkel. Zunächst kann ich noch Sterne erkennen, die mir etwas Halt geben. Später schieben sich Wolken vor den Sternenhimmel und verdunkeln auch noch den Mond. Es ist kaum mehr auszumachen, wo der Horizont verläuft und wie die Wellen auf uns zusteuern. Ich verkrieche mich unter das Verdeck, der sogenannten Sprayhood und lasse mich durchschaukeln. Jetzt wird es kalt und klamm. Alle Flächen am Boot sind von einem leichten Wasserfilm überzogen. Die Feuchtigkeit dringt in die Kleidung und kühlt die Hände aus. Mit Decke und Mütze verharre ich frierend so über Stunden und halte regelmäßig gehörig Ausschau. Die moderne Technik in Form des Kartenplotters ist hier eine große Erleichterung. Das Display zeigt nämlich die Positionen und den Kurs der Berufsschiffe, deren Fahrweg wir mitten in der Nacht kreuzen werden. Dann kommt es zu einer Begegnung.  Das Frachtschiff FAST hält nur wenige Seemeilen vor uns direkt auf uns zu. Ich sehe die weißen Toplichter, sowie grüne und rot Seitenlichter, die mir die Anzeige des Kartenplotters bestätigen. Ich überlege, was ich nun tun kann und stelle fest, dass ich unseren Kurs unter den Bedingungen nicht anpassen kann und möchte. Das Boot fuhr trotz der widrigen Bedingungen trotzig auf seiner Kurslinie in Richtung Zielhafen. Unter Deck greife ich mir das Funkgerät und rufe auf Kanal 16 den Frachter an: „cargovessel FAST, cargovessel FAST, this is sailingvessel GOOD FELLOW, can you read me?“ Sofort antwortet eine Stimme mit südostasiatischem Dialekt „YES Sir, I can read you.“ Ich frage an, ob der Frachter seinen Kurs ändern kann und mir wird freundlich mitgeteilt, dass sie den Kurs für uns ändern. Das grüne Seitenlicht verschwindet und die beiden Toplichter des Frachters, die sich am Bug und Heck befinden werden deutlich sichtbar. Eine Seemeile neben uns, kann ich nun die Größe des Schiffes einschätzen. Es war eines der großen Pötte. Der Funkverkehr weckt Juliane auf, die im Salon liegt und das alles sehr spannend findet. Sie setzt sich zu mir ins Cockpit und übernimmt die Wache. Ich schlafe neben ihr immer wieder unter meiner klammen Decke ein und erwarte sehnlichst den Sonnenaufgang. Gegen 5.00 Uhr kann ich endlich in die Koje gehen und Claudia übernimmt, immer noch mit der Seekrankheit kämpfend, die Wache. Am Vormittag erreichen wir planmäßig die französische Küste und fahren mit dem Strom durch den Chenal Du Four in Richtung Brest. Der Wind lässt nach und die Dühnung schüttelt uns nochmal ordentlich durch. Dann, zwischen den vorgelagerten Inseln und dem Festland kehrt endlich Ruhe im Schiff ein. Unter Motor und Segel fahren wir unseren Zielhafen in Brest an und freuen uns auf unseren vorab reservierten Liegeplatz. Erschöpft machen wir in der Marina um 16.00 Uhr fest. Das Erlebnis müssen wir nun erst einmal verarbeiten und auswerten.

Strecke: 150 Seemeilen

 

Dauer:  35 Stunden

Über Brest haben wir nicht viel zu erzählen. Im Vergleich zu den aufgeschlossen englischen Segelfreunden herrscht hier eine eher distanzierte Freundlichkeit. Man sagt sich Bounjour, mehr nicht. Wir bekommen Besuch an Bord. Claudias Eltern haben sich angemeldet. Wir nutzen die Gelegenheit, uns Ausrüstung und Proviant nachliefern zu lassen und freuen uns, wieder einmal mit einem Automobil unterwegs zu sein. Der Höhepunkt ist der Besuch im Aquarium, was sich mit viel Fingerspitzengefühl den tropischen, polaren und einheimischen Gewässern widmet.  

 

In Brest treffen wir unsere Freunde von der Segelyacht Kaimana wieder und beschließen gemeinsam mit ihnen über die Biskaya zu segeln. Die Biskaya hat einen schlechten Ruf. Sie gilt als unberechenbar. In der Bucht endet das Festlandschelf und die Wassertiefe ändert sich schlagartig von 200m auf 4.000m Wassertiefe. In der Biskaya beginnt das Blauwassersegeln. Aus unseren Fehlern der letzten Etappe haben wir gelernt. Wir bereiten Essen vor, bunkern Medikamente gegen Seekrankheit, bauen den Salon zum provisorischen Schlaflager um und legen warme Kleidung und Decken zurecht. Für die 350 Seemeilen Überfahrt planen wir drei Tage. Der Wind soll mit 5-6 Windstärken von achtern wehen und am zweiten Tag wird eine alte Altlantikwelle von Norden her in die Biskaya einlaufen und für hohe lange Wellen sorgen. Es kommt anders.

Wir starten am Mittwoch Nachmittag mit ablaufendem Wasser, moderatem Winden und wenig Welle  und fahren gemeinsam mit der Kaimana in die erste Nacht. Um uns herum sind die Lichter der Zivilisation als orange Leuchtkegel zu erkennen. Südlich von uns toben sich Gewitter aus und erhellen die Nacht, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe. Es ziehen Wolken auf und auch über Brest muss ich ebenfalls Blitze feststellen. Nun wird mir etwas flau im Magen, da der Wind genau aus Brest in unsere Richtung weht. Ich beobachte die Situation und als sich die ersten Wolken über unser Boot schieben, montiere ich den provisorischen Blitzschutz am Mast und lasse beidseitig dicke Drähte in das Wasser, die den Blitz ins Wasser ableiten sollen. Dann lege ich sämtliche Elektronik und das Satellitentelefon in den Backofen, um sie im Falle eines Einschlags vor Ausfall zu schützen. Der metallische Backofen ist nämlich ein faradayscher Käfig, in dem keine elektrischen Ströme des Blitzes eindringen können.  

 

Das Gewitter über uns bleibt aus und der Nachthimmel gibt seine ganze Schönheit preis. Erstmals kann ich mich über die Pracht erfreuen, die man nur noch auf dem Meer oder in verlassenen Gegenden unserer Erde erleben kann. Die Sterne erstrecken sich über den gesamten Himmel, kein künstliches Licht verschmutzt ihn. Die Milchstraße zieht sich wie ein weißes Band über den Nachthimmel. Der große Wagen und viele andere Sternenbilder erscheinen in ihrer ganzen Schönheit. Hin und wieder geht eine Sternschnuppe nieder und ich wünsche mir jedes Mal etwas. Irgendwann gehen mir die Wünsche aus. Und doch, bei genauem Hinsehen zeigt sich, dass der Mensch auch seine Hände nach dem Himmel ausgestreckt hat. Manche Sterne bewegen sich. Mal schnell oder auch langsam. Sie leuchten hell, andere sind nur bei genauer Betrachtung zu sehen, einige blinken. Es sind Satelliten und Flugzeuge. Tja und einige dieser Sterne helfen uns bei der Navigation, andere erhalten uns den  Kontakt zur Außenwelt.

Unsere erste Nacht war alles in allem ruhig, obwohl wir bereits mit den Wellen zu kämpfen hatten. Am zweiten Tag konnten wir erstmal die Atlantikwellen sehen. Laut dem Wetterbericht sollten die Wellenhöhen etwas 2,2 – 2,5 Meter betragen. In der Realität sieht dies aber etwas anders aus. Denn die Dünung aus dem Norden mischt sich mit den Wellen, die der Wind vor Ort aus einer anderen Richtung entstehen lässt. Die Wellen die aus dieser Kombination unter GOOD FELLOW durchlaufen sind nur schwer vorhersehbar und lassen das Boot in alle Richtungen schaukeln. Ich bin immer wieder begeistert, wie unser Windpilot mit diesen Bedingungen zurecht kommt. Ab und an eine kleine Korrektur und wir laufen immer in vorbestimmte Richtung.  Zum Abend hin lässt der Wind nach und dreht etwas. Die Wellen werden kleiner und das Segeln wird wieder entspannter. Wir sehen Wale, Delfine und sogar einen Hai, der an der Oberfläche seine Rücken- und Schwanzflosse aus dem Wasser streckt. Das Meer ist tiefblau. Unter uns liegen 4.000 Meter Wasser. Unser erstes  24 Stunden Etmal beträgt 126 Seemeilen, ich hätte mir ein paar Meilen mehr gewünscht. Die Kaimana verlieren wir mehr und mehr aus  den Augen, bis wir sie nicht mehr sehen. Die zweite Nacht verlief sehr ruhig, Wind und Wellen meinten es gut mit uns. Jedoch konnten wir unseren Kurs nicht mehr halten und sind vor dem Wind ein paar Seemeilen von unserer Kurslinie abgewichen. Am Freitag Vormittag war eine Winddrehung angesagt, die wir nutzen wollten. Wir fuhren eine Halse. Das Vorsegel  wechselt die Seite von Backbord zu Steuerbord, wir setzen das Großsegel und kreuzten vor dem Wind zurück. Das Mikroplastik Sieb kommt zum Einsatz und wir sieben mitten auf der Biskaya Kunststoffpartikel aus dem tintenblauen Meer. Mir wird wieder die Schönheit des Meeres bewusst, als ich  die lang gezogene Dünung hinter unserm Boot beobachte, die GOOD FELLOW und uns langsam hoch und runter befördert, leicht beschleunigt und danach wieder abbremst. Ich könnte das so tagelang aushalten.  Über den Tag nimmt der Wind merklich zu und ändert seine Richtung. Da wir viel zu viel Tuch gesetzt hatten, wollte ich sicherheitshalber das Großsegel bergen. Dafür müssen wir unseren Kurs ändern. Claudia am Steuer merkt schnell, das der Wind, kommt er plötzlich von der Seite, eine ganz andere Kraft auf das Boot ausübt. Was beim Vorwindsegeln gar nicht auffällt, weil sich die Windgeschwindigkeit aufgrund der Bootsgeschwindigkeit geringer anfühlt, ändert sich schlagartig, wenn der Wind seitlich oder von vorn einfällt.  Da wir aber Druck aus dem Segel nehmen mussten, weil es sich sonst nicht bergen lässt, mussten wir beide diese Manöver durchführen. GOOD FELLOW neigte sich bedrohlich zur Seite und schoss in die Wellenberge hinein, die gerade noch von hinten heran rollten.  Claudia war das alles nicht geheuer, befolgte aber trotzdem meine Kommandos, sodass das Segel mit ein bisschen Nachdruck eingeholt wurde. Der Kurs war schnell wieder hergestellt. Jetzt ging das Geschaukel los. Ohne Großsegel fangen wir an zu rollen. Ein bisschen trimmen hier und da, sowie eine kleine Kurskorrektur minimieren das Rollen auf ein erträgliches Maß. Derweil baut sich erneut eine Windsee auf, diese kommt nun nicht mehr von achtern sondern direkt aus der Bucht. Es entstehen Wellenberge, die wesentlich größer sind als unser Boot. Manche Wellen brechen sich vor uns oder schlagen in die Seite ein. GOOD FELLOW ächzt unter dieser Last und verwindet sich, was man an den Holzeinbauten hören kann. Wir nehmen in rauen Mengen Mittel gegen die Seekrankheit, die erstaunlicher Weise gut anschlagen und mir nicht die Kraft rauben. In der  kommenden Nacht werde ich diese brauchen. Unser zweites Etmal beträgt 109 Seemeilen und so liegt noch ein gutes Drittel der Reise vor uns. Als es Dunkel wird, wird es dann ganz heftig. Die Wellen scheinen immer größer zu werden, einige Wellen kommen am Vorschiff oder im Cockpit über, ich lasse die Crew unter Deck gehen, verschließe das Schott und setze mich draußen in das Cockpit. In der Nacht um drei Uhr zeigt der Windmesser 30kn an. GOOD FELLOW rast die Wellen mit bis zu 10kn herunter. Das ist zu schnell! Es besteht die Gefahr, dass dass Boot quer schlägt und von den Wellen überrollt wird. Ich reffe das Segel bis nur noch die Größe eines Handtuches steht. Der Wind pfeift derweil lautstark durch das Rigg und gibt dem Manöver seine ganz eigene Melodie mit auf den Weg. Ich bin wieder hellwach nach dem Manöver. Die Geschwindigkeit des Bootes verringert sich auf 5kn und wir fahren wieder, gesteuert durch die Windfahne, unserem Ziel zu. Doch der Höhepunkt ist noch nicht erreicht, denn nun verlassen wir das 4.000m tiefe Wasser und erreichen das Festlandschelf an der spanischen Küste, hier bauen sich die Wellen nochmals höher auf und ich sehe in der Nacht Wellenberge, wie ich sie noch nie gesehen habe. Ich zähle die Stunden und überschlage, wie lange wir unter diesen Bedingungen noch unterwegs sind. Die Lichtkuppeln der Leuchtfeuer geben mit dabei Halt und treiben mich an, dass hier alles zu überstehen. Es ist wie alles im Leben, man gewöhnt sich an die Umstände und als klar war, dass wir unter diesen Bedingungen immer noch sicher unterwegs sind, versuche ich unter der Sprayhood in Decken gehüllt ein wenig zu schlafen. Die Crew unter Deck bekommt ebenfalls kein Auge zu und teilt sich unsere Liegefläche im Salon. Ich muss mich regelmäßig melden, sodass wir gegenseitig wissen, dass es uns gut geht. Um sieben Uhr übernehmen Claudia und Juliane die Wache. Das Wetter hat sich etwas beruhigt, sodass die beiden gut mit der Situation klar kommen. Ich lege mich in mein Koje und schlafe eine Stunde. Wir sehen bereits die spanische Küste. Ich frage mich, ob die Wellen bis zur Küste in dieser Intensität bleiben. Ist das Einlaufen in A Coruna dann überhaupt möglich? Ein paar Stunden später ist das Meer nicht wieder zuerkennen. Der Wind war wie ausgeknipst, die Wellen wurden kleiner und kleiner und schließlich war die Biskaya nicht wieder zu erkennen. Die Sonne schien, es war warm und die Wellen sahen aus, als würde man auf der Ostsee einen Schönwetterausflug machen. Was wir heute Nacht da draußen erlebt haben, glaubt uns im Hafen kein Mensch. Unter Maschine laufen wir den Real Club Nautico in der Stadtmitte an und machen um 12.45 Uhr fest. Wir haben es tatsächlich über die Biskaya geschafft. 

Dauer:  69 Stunden ( 2 Tage und 21h)

Strecke: 350 Seemeilen

13 Kommentare zu „Von Dartmouth auf die Biskaya“

  1. Hallo ihr Segler,
    sofern ihr Lust und Laune auf einen Plausch an der Kaimauer in Funchal habt, wir sind vom 08.10.2022 – 15.10.2022 auf Madeira.

    Grüße aus Grambin
    Matthias

    1. Hallo Matze,

      das versuchen wir natürlich. Ob der Wind und die Wellen mit uns sind, können wir aber leider nicht versprechen. Grüße Claudia und Marko

  2. Hallo ihr vier. Nachdem ich schon eure anderen Berichte voller Begeisterung gelesen habe, bin ich nun mit euch über die Biskaya gesegelt. Ich bin echt beeindruckt, wie deine drei Frauen und du an den Herausforderungen wachst. Die Beschreibung von alltäglichen Problemen wie Seekrankheit oder Wäsche waschen hebt eure Berichte von denen anderer “Atlantiküberquerer ab. Ich freue mich auf eure nächsten Erlebnisse.
    Grüße, Mathias !

  3. Wow,….ich bin beeindruckt. Das hört sich nach einer echten Feuertaufe an? Herzlichen Glückwunsch und mein größter Respekt an euch Viere. Liebe Grüße.

  4. Hallo Ihr 4, absolut genial. Man fühlt sich wirklich, wie dabei zu sein.
    Ihr macht das richtig gut. Und es gilt wie bisher: Agthe gelesen, dabei gewesen :-).
    Viel Spaß weiter und weniger Seekranke an Bord.
    Das Elisenteam

  5. Hey ihr vier,
    als ich auf marinetraffic gesehen hab, dass ihr nicht mehr in Brest, sondern in Spanien seid, hab ich schon sehnsüchtig auf euren Bericht gewartet. Und wie immer, ist er wirklich mitreissend geschrieben.
    Dass war ja ne tolle Erfahrung, die euch bestimmt viel Vertrauen in Good Fellow und euch selbst gegeben hat. Ich wünsche euch weiter viel Spass und tolle Erlebnisse!

    … und ich dachte, ihr fahrt gemütlich die französische Küste runter und geniesst den Wein, den es dort geben soll… 😉

    Viele Grüsse,
    Jens

    1. Hallo Jens, danke für die Nachricht. Noch haben wir einen Weinvorrat aus Deutschland an Bord. Und das englische Bier war auch in Ordnung. Viele Grüße aus dem verregnetem Vigo Marko

  6. Hallo ihr Lieben, wieder ein toller Bericht, bei dem man alles direkt miterlebt! Da habt ihr die Biskaya nicht gerade von der freundlichsten Seite erlebt. Bin vor knapp 30 Jahren als Chartecrow von Brest nach Vigo das war aber gegen Eure Erlebnisse für gut 4 Tage ein schönes Sommersegeln. Ich bekomme fast regelmäßig nach Euren Bericht Ärger mit Ingrid, da ich so lange Handy auf das Handy schaue. Ich bin so von Euren Bericht gefangen und lese fast jeden zweimal!
    Wünsche Euch weiterhin gute Reise und eine Handbreit……
    Liebe Grüße!

  7. Hallo ihr Segler,
    ich verfolge jeden eurer Berichte. So lernt man von zu Hause auch die Welt kennen.
    Ich und Boote und Wasser sind kein Team .Toll was ihr da macht, da kann ich nur den Hut ziehen.
    Der Geiseltalsee in Mücheln reicht mir schon.
    Gute Zeit wünsche ich euch.

    LG von Beate aus Claudias Jogagruppe

  8. Oh, das war ja spannend. Ich kenne achterlichen Wind mit WS 5 auf der Müritz mit der Ixylon, da wars mir schon unheimlich , aber das hier war wohl eine andre Nummer. Glückwunsch, dass Mensch und Material alles unbeschadet überstanden haben. , passt weiter gut auf euch auf und weiter immer eine handbreit……… VG Kornelia

  9. Hallo ihr Lieben
    .hab schon auf euren Bericht gewartet…bin fast mit seekrank geworden..gut dass ihr das gut gemeistert habt.Passt bitte gut auf euch auf..meine guten Wünsche begleiten euch..Tschüss Veronika

  10. Hallöchen ihr vier, da habt ihr aber ein rauhes Wetter überstanden. Seit weiter so mutig und passt auf euch auf. Fühlt euch gedrückt. LG

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