Im Englischen Kanal

Für unsere Weiterfahrt in den Süden mussten wir uns für eine Seite entscheiden – für die französische oder die englische Küste. Zu Beginn meiner Vorbereitungen habe ich mehr mit der französischen Seite geliebäugelt. Jetzt, wo die Entscheidung unmittelbar zu fällen ist, wählen wir nun doch die englische Küste. Nach ein paar Tagen in Belgien und einem kurzen Schlag nach Dünkirchen in Frankreich machen wir uns auf dem Weg. Die Straße von Dover liegt vor uns. Wir haben wieder einmal Glück mit dem Wetter. Der Wind kommt aus Ost mit 10kn Geschwindigkeit. Die Sonne scheint und ein paar Wölkchen dekorieren für uns den Himmel. Wir befinden uns wieder in einer Regatta. Die Tide ist mit uns und so fahren wieder alle Crews gleichzeitig los. Aber dieses Mal wollen wir nicht mit der roten Laterne über die Ziellinie fahren. Die Blister muss raus und zwar schnell! Hinter uns fliegen zwei Boote mit jeweils blauem Leichtwindsegel heran. Mein Ehrgeiz packt mich. Die Handgriffe sitzen mittlerweile und die Crew holt die Genua ein und lässt unser schwarz-weiß-rotes Segel fliegen. Schon viel besser. Ein Blick auf die Logge verrät, wir sind deutlich schneller geworden. Die beiden blauen Segel bleiben auf Abstand. Sie kommen dann aber doch näher und eines der Boote überholt uns auch noch. Das andere halten wir in Schach. Hätte ich doch mal die Wassertanks nicht so voll gemacht. Kein Wunder, wenn GOOD FELLOW nicht läuft. Na ja, ich gebe mich schließlich mit Platz zwei zufrieden und halte auf Dover zu, während die beiden anderen Segler die französische Seite wählen. Jetzt kommt die Strömung von unserer Steuerbordseite. Wir halten uns östlich von Dover, damit wir nicht gegen die Strömung ankämpfen müssen. Vielmehr nutzen wir die Tide aus, damit sie uns in westliche Richtung zu unserem Zielhafen versetzt. Die Straße von Dover ist wieder ein Verkehrstrennungsgebiet, in dem die gesamte Schifffahrt geordnet stattfindet. Wer dieses Gebiet queren will, muss das im rechten Winkel tun und ist sogar angehalten, sich mit der Strömung vertreiben zu lassen. So soll gewährleistet werden, dass die querenden Fahrzeuge schnell aus dem Gefahrenbereich heraus fahren. Mit uns fahren eine Fähre, ein Frachtschiff und ein Segelboot in die gleiche Richtung. Bis zur Mitte des Kanals heißt es Ausschau nach Backbord halten. Doch wir haben wieder mal Glück und es kommt kein Schiff. Dafür dreht der Wind etwas und der Blister zieht nicht mehr. Uns bleibt nichts anders übrig als das Segel zu bergen und die Genua zu setzen. Die gesamte Crew ist im Einsatz und wir bewältigen auch dieses Manöver gemeinsam. Danach läuft GOOD FELLOW wieder. Es ist mir fast etwas zu schnell, denn ich bin in Gedanken schon wieder zwei Schritte weiter. Die englische Küste, die wir bereits seit Calais am Horizont sehen bekommt immer mehr Konturen und die weißen Kreidefelsen zeichnen sich deutlich vor uns ab. Davor, irgendwo an unserer Backbordseite, muss sich die Hafenmauer befinden. Diese setzt sich deutlich weniger vom Meer ab. Aber langsam kommt auch sie in Sichtweite. Der Strom setzt jetzt mit mehr als 2kn in westliche Richtung und wir ändern den Kurs nach Verlassen des Verkehrstrennungsgebietes, was wir ohne nennenswerte Kontakte zur Berufsschifffahrt verlassen.  Wir lassen die Gastlandflagge und die gelbe Flagge an unserer Steuerbordsaling fliegen. 

Mir werden die Hände feucht. Denn jetzt kommt der Höhepunkt unserer heutigen Fahrt. Ich muss mich per Funk beim Hafen anmelden und mich an die Anweisungen von „Dover Port Control“ halten. Mich stört jedes Geräusch auf dem Boot, aber die Crew sitzt quietschvergnügt an Deck und vertreibt sich die Zeit. Ich bitte um Ruhe und werde belächelt. Die Mädels wissen halt nicht, was in mit vorgeht.
Viele Tage habe mich auf diese Situation vorbereitet und weiß dennoch, dass es schwierig für mich wird, überhaupt etwas von dem Gemurmel der englischen Hafensteuerung über die Funkverbindung zu verstehen. Jetzt kommt es drauf an! Zwei Seemeilen vor der östlichen Einfahrt greife ich zum Funkgerät, drücke mit zitternden Händen den Knopf und Spreche: „Dover port control, Dover Portcontrol, this is sailingvessel GOOD FELLOW. …“ Portcontrol antwortet und weist an, uns nördlich der Hafeneinfahrt zu
halten. Puh, ich schwitze, die Crew ist tatsächlich ruhig und Claudia, mit einem Grinsen, hält die Kamera und filmt. Das war aber erst der Anfang. Vor der Einfahrt soll ich mich nochmal melden. Wir segeln weiter und eine Seemeile vor der Einfahrt rollen wir das Vorsegel ein. Unter Maschine halten wir auf die
Einfahrt zu. Noch bevor ich zum Funkgerät greifen kann, weist uns Portcontrol an, schnellstmöglich in den Hafen einzufahren und nahe der Hafenmauer auf das Kreuzfahrschiff zuzuhalten.  „ Stay close to the breakwater and call us again, when you are at the crewship“. Wir fahren an der Hafenmauer zur zweiten, der westlichen Einfahrt, melden uns dann nochmal bei Portcontrol. Uns wird der Weg zur Marine erläutert, dann verabschiedet sich Portcontrol bei uns und wir werden auf VHF Kanal 80 an die Marina weitergeleitet. Mittlerweile haben sich wieder etwas meine Nerven beruhigt und so läuft der Funkverkehr mit der jungen Dame von der Marina Dover zwar mit einigen Verständigungsproblemen, aber dennoch stressfreier ab. Wir werden zum Liegeplatz gelotst und machen um 17:40 Uhr fest. Willkommen im vereinten Königreich.

Strecke: 42 Seemeilen

Dauer: 4,5 Stunden

Nach der Anmeldung im Marina Office lernen wir die junge Dame persönlich kennen, zahlen unser Hafengeld und werden eingewiesen. Den Liegeplatz müssen wir nochmal wechseln und die gelbe Flagge dürfen wir auch wieder entfernen. Eine Einklarierung ist wohl nicht nötig, da wir uns bereits über die Website der britischen Behörden angemeldet und eine digitale Genehmigung erhalten haben.

In den nächsten Tagen steht eine Besichtigung des Dover Castle und Ausflug nach London auf dem Programm. 

London erreichen wir mit dem Zug in etwas weniger als zwei Stunden. Die Fahrt ist kurzweilig, der Zug ist im Gegensatz zu Deutschland auf die Minute pünktlich. Wir steigen am Bahnhof London Bridge aus und werden nach Verlassen des Bahnhofsgebäudes von den Eindrücken dieser Metropole erschlagen.

Mir fehlen die Worte um zu beschreiben, wie wir hier empfangen werden.  Glastürme in allen Formen, die am anderen Themseufer wie Schachfiguren zusammengeschoben erscheinen, ein schwarzer glänzender Boden aus Klinkersteinen, der zusammen mit ein paar akkurat angeordneten Bäumen zwischen zwei Glaspalästen den Blick auf die Themse freigab. Aber ich denke wir lassen Juliane hier einmal zu Wort kommen. Sie kennt sich in London etwas besser aus:

Wir konnten schon durch eine Schlippe die Tower Bridge sehen. Ich kannte sie zwar schon von meinem Besuch von vor zwei Monaten, als ich mit der Schule dort war. Dennoch war es für mich genau so aufregend hier zu sein, wie für den Rest der Familie. Als wir dann endlich die Tower Bridge richtig sehen konnten, kamen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus. Vor uns war die berühmte Brücke, hinter uns befanden sich große Hochhäuser und wir standen mitten im Geschehen. Die Leute rings um uns herum waren alle beschäftigt, joggten, standen an einen der unzähligen Streetfood Ständen an oder machten so wie wir Fotos. Man konnte auch deutlich erkennen, wer Tourist ist und wer hier wohnt bzw. arbeitet. Ich fand´s eigentlich ganz amüsant, die Leute zu beobachten und zu schauen was sie machen.

Im Gegensatz zu meinen Eltern und Luise wusste ich, wo wir uns befanden, also natürlich wussten auch Luise und co. dass wir direkt vor der Brücke waren, aber sie wussten eben nicht, wo wir genau waren und wo wir am besten als nächstes entlang sollten. Ich habe mir bereits einen Tag zuvor Gedanken über die beste Route gemacht. Also sind wir als erstes über die Tower Bridge gelaufen, natürlich mussten wir ein paar Mal auf der Brücke anhalten, weil Mama von uns Selfies machen wollte. Über die Brücke zu laufen samt Familie ist nicht so einfach wie man denkt. Das eine Mal sind Papa und ich weitergelaufen in dem glauben, dass Mama und Luise direkt hinter uns sind. Dem war aber nicht so. Sie standen weit entfernt von uns an der Brücke und machten Fotos. Wir (Papa und ich) konnten ja schlecht einfach stehen bleiben, weil andauernd Menschen an uns vorbeigelaufen sind. Also mussten wir uns durch die Menschen zurück wühlen, um sie einzufangen. Danach ging´s dann endlich weiter.

Am Ende der Brücke sind wir einfach weiter der Themse gefolgt. Dort gab es einen schönen Weg unter Bäumen mit kleinen Essensbuden und Krimskrams. Es war sehr schön da, diesen Teil kannte ich noch nicht, aber ich wusste in etwa in welche Richtung wir laufen müssen. Unser nächster Stopp war die St. Pauls Cathedrale. Dort, gleich um die Ecke, war ich vor zwei Monaten in einem Hostel untergebracht. Danach sind wir über die Millennium Bridge gegangen. Auf der anderen Seite der Themse sind wir dann weitergelaufen. Dort waren schöne Wege mit Bäumen und ab und zu kleine Parks. Es gab vereinzelt Menschen, die Musik machten oder irgendwelche Tricks aufführten. Mein Favorit war ein Mann, der Klavier spielte. Und dann haben wir endlich das London Eye gesehen. Für mich war es genau so aufregend wie für die anderen. Luise wollte zwar gerne damit mitfahren, aber da standen soooo viele Leute an und wir mussten uns leider dagegen entscheiden.

Wir haben, wie auch bei allen anderen Sehenswürdigkeiten wieder viele Fotos gemacht. Nach dem das dann erledigt war, sind wir weiter. Mir taten nach der Zeit schon langsam die Beine weh und das Wetter machte es auch nicht besser, denn es war sehr warm. Unser nächstes Ziel war der Big Ben. Wir sind dann wieder über eine Brücke auf die andere Seite der Themse gelaufen. Dort angekommen konnte man schon von weitem sehen wie viele Menschen da standen und Fotos gemacht haben. Es war schwierig ein Foto vom Big Ben zu machen, ohne irgendwelche fremden Leute mit auf dem Foto zu haben. Der nächste Faktor, der es schwieriger gemacht hat, war die Sonne. Aber nach ein paar Versuchen hatten wir dann echt schöne Fotos vom Big Ben.

Als nächstes auf unserer Liste stand der Buckingham Place. Wir sind auf dem Weg dahin durch einen schönen Park gelaufen. Papa hat uns dann allen ein Eis versprochen. So schwierig sollte das eigentlich gar nicht sein, ein Eis im Park zu bekommen, oder? Schließlich waren da genügend Stände, an denen Eis verkauft wurde. Naja, es stellte sich heraus, dass es doch nicht so einfach war wie gedacht. Denn als wir bei dem ersten Verkaufsstand ankamen und wir nach Eis fragten, gab es nur noch eine Sorte Wassereis und genau das wollten wir nicht. Der Verkäufer hat uns dann aber den Weg zum nächsten Verkaufsstand beschrieben. Als wir dort angekommen sind, standen schon ein paar Leute an. Wir stellten uns dazu. Aber genau wie bei dem anderen Stand gab es nur noch eine Sorte Eis – Karamell mit Salz oder so. Naja, also sind wir weiter durch den Park gelaufen, aber ohne Eis. Es hat nicht mehr lange gedauert, dann haben wir endlich den Buckingham Palace gesehen. Luise war total aufgeregt, weil sie unbedingt eine Wache sehen wollte. Laut ihr sahen die Buschel Mützen so aus wie ein Mikrofon. Während Mama und ich Fotos gemacht haben, stand Luise einfach am Tor und hat die Wache beobachtet.

Nach dem Buckingham Palace war so zu sagen unsere Sightseeing-Tour zu Ende. Wir haben alle Sehenswürdigkeiten gesehen, die wir in der kurzen Zeit sehen konnten. Naja außer Madame Tussauds. Ich wollte gerne dahin, aber das lag etwas weiter weg und wir hatten die Zeit dazu nicht. Wir sind dann wieder zurückgelaufen. Dieses Mal aber nicht an der Themse entlang, sondern durch die Stadt. Dort haben wir dann endlich unser versprochenes Eis gegessen. Für Luise und mich gab es Ben & Jerrys Eis 🙂 Ab und zu gab es noch kleine Souvenir Shops, an denen wir natürlich nicht vorbeilaufen konnten. In den einen sind Mama, Luise und ich rein, mit der Aufforderung an Papa, dass er bitte draußen auf uns warten soll, weil er eigentlich nicht mit rein wollte. Der Shop war sehr groß und in ihm befanden sich kleine Verkaufsstände. Naja als wir dann wieder raus kamen war Papa weg. Wir sind draußen rumgelaufen und haben ihn gesucht. Nach 5min haben wir aufgegeben und ihn angerufen. Er wurde sozusagen irgendwie doch von den ganzen Ständen verschluckt und hat drinnen nach uns gesucht. Nur sind wir links herum und Papa rechts herum gelaufen.

Als wir dann den Bahnhof erreicht haben, war ich einerseits erleichtert, aber andererseits auch traurig. Denn ich war fix und fertig von dem ganzen Laufen. Ich wollte mich einfach nur noch in den Zug setzten. Aber andererseits wollte ich nicht gehen, weil London so schön ist und ich gerne länger geblieben wäre.

 

Mit dem Zug sind wir dann ca. 1h 30min gefahren. Als wir dann in Dover angekommen sind, waren wir noch lange nicht am Boot. Wir mussten noch 20min zum Hafen laufen. An sich ist das ja nicht weit, aber nach dem ganzen Tag in London war das für mich echt anstrengend, denn wir sind insgesamt über 30.000 Schritte gelaufen. 

Zurück im Hafen bereiteten wir die Weiterfahrt vor. Der Wind sollte noch ein paar Tage aus Ost wehen, was uns natürlich mehr als Recht war.  Da wir wieder mit der Tide auf unserer Seite losfahren wollten, galt es geduldig zu sein und zu warten. Ich vertrieb mir die Zeit an Deck und kam mit unserem Bootsnachbarn ins Gespräch. Er war Offizier auf einer Calais – Dover Fähre, hat immer zwei Wochen Dienst und dann zwei Wochen frei. Er wohnt auf dem Boot und das ist ein bayrisches Original – eine Bavaria 40. Er liebt deutsche Boote, die deutsche Ingenieurskunst und schwört auf alles, was Made in Germany ist. Das ist auf seiner Fähre so und auch auf seinem Segelboot. Unsere Windfahne, ebenfalls Made in Germany, hat es ihm angetan. Ich erklärte ihm mit meinen rudimentären Englischkenntnissen die Funktionsweise und er war begeistert. Ein Maschinenbauingenieur gesellte sich zu uns und so ging es weiter über die gute Qualität der deutschen Maschinen. Auf einem englischen Fischkutter ist so ein Wunderwerk verbaut, sagt er. Sie tötet die Fische, scheidet den Kopf ab, öffnet fachgerecht den Bauch und entnimmt die Innereien. Die Maschine lässt den Fisch aber im Ganzen, d.h. der Rücken wird nicht zerschnitten. Des Engländers Augen leuchten dabei. Ein perfektes Ergebnis. Dann sagt er „Unsere englischen Maschinen können das nicht, da kommt der Fisch in zwei Hälften heraus. Das können nur die Deutschen. Ich mag solche Begegnungen. Auch wenn sie nur eine Stunde währen. Und ein bisschen stolz bin ich ja auf unsere Zunft auch. Die deutsche Ingenieurskunst hat scheinbar einen guten Ruf in England.  Mal sehen, ob den Franzosen auch solche Äußerungen über die Lippen kommen. 

Wie ein alter Hase, melde ich mich nun per Funk im Hafen ab, drehe dann das Funkgerät auf Kanal 74 und melde mich bei Portcontrol für das depature (Abreise) an. „Portcontrol this is Sailingvessel GOOD FELLOW, we want to leave the habour by the western entrance“. Wir bekommen grünes Licht, und melden uns nach dem Durchqueren der westlichen Hafeneinfahrt per Funk ab. Portcontrol wünscht uns sogar eine gute Reise. Die Kreidefelsen im Rücken halten wir nun auf die Isle of Wight zu. Die Insel liegt südlich des Solent, einem geschützten Bereich im Ärmelkanal, der als Segelhochburg bekannt ist. Wir meiden den Solent jedoch vorsorglich, da wir uns hier auch mit starken Tiden und Strömungen auseinandersetzen müssten. Die Planung einer Passage des Solent, welche auf die unserer Abfahrt in Dover abgestimmt sein müsste, hielt ich für gewagt. Wir verfügen nicht über genügend Erfahrung, unsere Reisegeschwindigkeit in Abhängigkeit der Windstärke, Windrichtung und Strömungen zu bestimmen und damit den Abfahrzeitpunkt zu berechnen, damit wir pünktlich mit der Strömung in den Solent einfahren. (Bitte ggf. zweimal lesen, wenn es schwierig ist zu verstehen.)

Wir sind übrigens zufällig pünktlich an der Isle of Wight angekommen, entschieden uns aber doch um die Südspitze zu fahren und im Lee der Insel windgeschützt zu ankern und erstmals ins Wasser zu springen.  Die Needles vor Augen ging der Tag in  einem rollenden Boot zu Ende. Die Tidenströmung spielt auch hier eine Rolle. Während wir an der Ostsee vor Anker die Welle in der Regel von vorn bekommen, liegt GOOD FELLOW hier keineswegs vor dem Wind. Es wird vielmehr von den Tiden weggetrieben und steht somit quer zu den hereinlaufenden Wellen. Diese sind winzig klein, aber ab und an kommt mal eine etwas Größere verbeigeschaut und lässt uns hin und her schaukeln. Das Spektakel hat erst ein Ende, als die Tide kippt und zufällig unser Boot vor die Wellen schiebt.

Strecke:  123 Seemeilen

Dauer : 25,5 Stunden 

 

Um 00:00 Uhr ist der Nacht vorbei. Juliane und ich lichten den Anker und richten den Bug von GOOD FELLOW in Richtung West. Die Tide kippt in einer Stunde und würde uns über die Küstenbereich schieben, die auch als Races bekannt sind. Insbesondere vor Kaps wird das Wasser beschleunigt und nimmt so hohe Geschwindigkeiten an, dass man mit einem kleinen Boot nicht dagegen ankommt und sogar rückwärts fährt. Außerdem können sich in diesen Bereichen gefährliche Seen aufbauen. Unsere Devise – mit viel Abstand von der Küste fahren. Es ist Vollmond und der Wind kommt aus Nordost, er baut sich langsam auf und erreicht 12kn Geschwindigkeit. Die See ist spiegelglatt und Juliane hat sich wieder in die Koje verkrochen. Ich setze, vorschriftsmäßig angeleint, das Großsegel und ab geht die wilde Fahrt. Der Strom setzt ein und schiebt uns mit bis zu 4kn an. GODD FELLOW neigt sich 10° nach Backbord und beschleunigt. Wir machen 7kn Fahrt durch das glatte Wasser und bekommen gut 4kn geschenkt. Der Kartenplotter zeigt eine Geschwindigkeit von maximal 11,4kn (!) an. Das sind rund 20km/h! Ich bin hellwach und halte Ausschau. Die See ist hell vom Mond beleuchtet, der kugelrund von Süden her die Konturen der Meeresoberfläche und der Segel abzeichnet. Meine Gefühle in einer solchen Situation lassen sich  nur schwer beschreiben. Aber an Adrenalin im Blut hat es mit sicherlich nicht gemangelt. Wir schaffen die Hälfte der Strecke in ca. sechs Stunden und sind somit aus den Bereichen heraus, die als anspruchsvoll gelten. Um 5:00 Uhr übernehmen Luise und Claudia die Wache, ich lege mich in die Koje und schlafe mich erstmal aus. Am Vormittag laufen wir immer noch wie auf Schienen, jedoch nicht mehr mit 11kn sondern nur noch mit 3kn – egal. Die Segel stehen gut im Wind, das Wasser wird immer blauer und klarer und die Sonne scheint. Ich bin beruhigt, weil ich das Ziel auch mit dieser Geschwindigkeit am Tag erreichen werde. Da die Tide aber bald wieder kippt, würden wir sogar mit Flaute weiter geschoben.  Plötzlich sehe ich im Augenwinkel zwei Delfine aus dem Wasser schnellen. Keine zwei Meter neben uns. Ich rufe die Familie zusammen: DELFINE.  Wie die erste Begegnung mit dieser fantastischen Tierart war, beschreibt nun Luise:

Ich habe geguckt und habe weitere Delfine gesehen. Ich bin vor zum Bug gelaufen und es waren auf jeden Fall mehr als zwei Delfine! Ich habe rum geguckt und habe gezählt, ZEHN Stück habe ich gesehen. Es waren zwei Delfinschulen die mit uns mit geschwommen sind. Einige sind auch gesprungen. Hätte man sich etwas raus gelehnt, hätte man vielleicht einen berühren können. Ich habe auch richtig gehört, wie sie miteinander kommunizieren, das klingt wie so ein Quietschen. Jule hat sich dann auf den Bauch gelegt, um vielleicht einen berühren zu können. Hat aber nicht funktioniert, sie sind dann nämlich tiefer geschwommen. Noch eine Weile konnten wir sie beobachten, bis sich dann die beiden Schulen wieder getrennt haben und weiter geschwommen sind. Man konnte sie noch bis zum Horizont beobachten. Insgesamt waren sie 10 Minuten da! Cool! Später in den Abend rein, haben wir dann noch mal ein, zwei Schulen gesehen. Ich fand das alles so schön!

Am Abend erreichen wir die Einfahrt zum River Dart. Wir haben uns entschieden, in einem Fluss eine Marina aufzusuchen. Hier liegt man ruhig und hat keine Betonwände um sich. Die Entscheidung nach Dartmouth zu fahren, war genau richtig. Eingebettet in ein Flusstal, beidseitig mit vielen teilweise bunten Häusern bebaut und die maritime Segelwelt im Fluss geben ein malerisches Bild ab.  Wir legen bei einer englischen Crew an einem Schwimmsteg mitten im Fluss im Päckchen an, klaren das Boot auf und machen das Schlauchboot startklar. Denn ohne dieses sogenannte Dinghy läuft in Dartmouth nichts.

Strecke:  86,1 Seemeilen

Dauer: 16,5 Stunden

17 Kommentare zu „Im Englischen Kanal“

    1. Hallo Dirk, leider ist unsere Wlan Antenne angestiegen, sodass wir im Hafen nur eingeschränkt am Blog arbeiten können. Der neue Eintrag ist aber fast fertig. Viele Grüße Marko

  1. Mathias Stürze

    Hallo Ihr Rumtreiber!
    Ich lese jeden Blogeintrag von euch sehr aufmerksam und fasziniert. Der Link hierzu befindet sich seid der Abreise bei mir in der Favoritenliste auf Platz 1.
    Ich bin froh über jedes Lebenszeichen von der Crew des “Guten Kerls” und freue mich über die neuen Erlebnisberichte. Und solltet ihr als Familie daraus ein Buch machen, würde ich hiermit ein Exemplar vorbestellen aber bitte mit den Unterschriften aller und eine persönliche Widmung wäre auch schön.
    Kommt weiterhin gut über die Gewässer und bleibt GESUND und MUNTER.
    Liebe Grüße besonders an Luise ich habe dieses Lächeln von Ihr gestern beim ersten Training des Jahres vermisst.

    Und zum Abschluß liebe Grüße an die Komplette Crew vom Fliesenzähler der Schwimmhalle Merseburg
    Mathias Stürze

    P.S. Vielleicht gibt es auch mal ein Bild, wo Marko auch lacht er schaut immer so verbissen 🙂

    1. Hallo Matthias,

      vielen Dank für Deine Nachricht. Wir werden für Dich extra ein Bild aufnehmen, in dem wir beide lächeln 😉 Viele Grüße Luise und Marko

  2. Mario Schellenberg

    Hallo Segelauszeitfamilie,
    der Nichtsegler muss öfters zweimal lesen. Aber dafür kenne ich mich mit Schritten gut aus und 30.000 sind wirklich viel. Marko, du hattest bei meinem „Einstellungsgespräch“ erzählt, dass die Fahrt durch den Ärmelkanal wohl das Schwierigste werden würde, insbesondere Richtung Westen. Was ich nicht wusste, dass es die Anmeldung am Portcontrol war, die Schwierigkeiten bereiten könnte. Ach Quatsch. Ich war wirklich mindestens genauso aufgeregt wie ihr und habe immer eure Position verfolgt. Ich bin stolz auf euch, wie ihr da durch gesegelt seid. Vielen Dank für diesen wunderbaren Bericht, vielen Dank an die Nachwuchsjournalistinnen. Und Luise, ich hatte als Kind ein Buch über Delphine. Ich habe es Abends im Bett gelesen und von diesen wunderschönen Tieren geträumt. Damals war es fast unmöglich, diese Tiere überhaupt irgendwo zu sehen. Ich hatte eine unheimlich Sehnsucht danach, diese intelligenten Tiere in freier Wildbahn zu erleben. Leider ist mir das bis heute nicht gelungen. Das hast du mir schon mal voraus. Ich wünsche euch weiterhin eine gute Reise und ich warte sehnsüchtig auf den nächsten Bericht. Ach so, Haus steht noch. ☺️

    1. Hallo Mario,

      vielen Da k für Deinen Kommentar. Das Kapitel “Englischer Kanal” ist nicht ganz fertig. Wir mussten ja noch von Dartmouth über den Kanal zurück ans Festland fahren. Was wir auf der Fahrt nach Brest in Frankreich erlebt haben, werden wir in einem eigenen Artikel beschreiben. Nur so viel vorweg. Es war unsere bisher anspruchsvollste Etappe… Übermorgen geht´s dann mit dem passenden Wetter über die Biskaya. Drück uns die Daumen.

      Viele Grüße Marko + Crew

  3. Hy liebe Crew,
    mal wieder ein sehr toller Bericht Eurer Reise. Es ist so toll erzählt, als wäre man mit Euch an Bord. Ganz egal wer von Euch schreibt, ihr habt die Gabe das erlebte ins richtige Licht zu rücken.
    Viele Grüße aus den Bergen und Grüße an Maria und Martin!

  4. Hallo Claudia,
    hier schreibt Dir Katja. (eine Patientin)
    Du hattest mich eingeladen, die “Familienauszeit” zu lesen.
    Ich verfolge Euren Blog aufmerksam und es ist mega interessant und beeindruckend. Die MZ hat unlängst über Euch berichtet.
    Ich wünsche Dir mit Deiner Familie weiterhin nur das Beste und immer genug Wasser unterm Kiel.
    Alles Gute, von Katja!

    1. Hallo Katja,
      viele Grüße von uns in die Heimat und vielen Dank für das Lob. Das freut uns sehr.
      Claudia & Familie

  5. Klingt ja wirklich sehr interessant , nach guter Stimmung und vielen Erlebnissen und als Höhepunkt auch noch eine Regatta, was will das Seglerherz mehr .
    Weiter gutes Wetter und so interessante Beiträge und immer schön aufmerksam bleiben.
    Viele Grüsse an die gesamte Crew vom sonnigen Bleilochstausee.

  6. B+J Breitenbach

    Kein Törn-Bericht könnte für uns persönlicher und informativer sein! Gleiches gilt für die interessanten
    maritimen Informationen. Hinzu kommt euer Glück, Nordsee und Kanal so zahm zu erleben.
    Weiterhin Gute Fahrt ! B + J

  7. Heh, deine Beschreibung mit dem Funkverkehr ist einfach nur Klasse 😉

    Die Nervosität kommt mir bekannt vor. Das gibt sich aber mit der Zeit.

    Wir wünschen Euch noch eine gute Reise und viel Spaß auf der Biskaya!

  8. Hallo Marco, es ist wirklich faszinierend, zu sehen, was Ihr auf der Reise alles erlebt und wie Ihr das erlebt. Und auch genießt. Ein Hochzeitstag auf See ist mal was ganz anderes und auf andere Art schön;
    auch wenn Ihr uns mit 47 Jahren nicht einholen werdet.
    Wir haben zweimal den Bericht lesen müssen, jetzt können wir uns erst an’s Essen stürzen.
    Viel Spaß und viele Erlebnisse Euch weiterhin. Wir sind schon gespannt auf den dritten Newsletter.
    die Mannschaft der Elise

  9. Ich bin fasziniert (wie immer) von euren Berichten..als wäre man dabei..großartig!!
    Danke daran teilhaben zu können..Weiterhin alles alles Gute euch lieben vier…herzlichst Veronika

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